Neulich bin ich mal wieder mit meinem Segelboot auf dem See unterwegs. Es bläst recht kräftig, wenn auch etwas böig, aber insgesamt ist es eine Freude – und der See ist obendrein ziemlich leer. Nur eine Motoryacht ist in einiger Entfernung zu sehen. Sie kommt näher … hm, das ist Kollisionskurs. Jetzt kann ich erkennen, dass eine Männercrew auf dem Oberdeck sitzt. Solchen Booten weiche ich trotz Wegerecht in der Regel weiträumig aus, denn man weiß nie, ob nicht Alkohol im Spiel ist. Ich segle aber vor dem Wind und Ausweichen würde entweder bedeuten in die gerade einfallende Böe hinein zu halsen, oder anzuluven und in die Abdeckung einer Insel zu segeln. Also denke ich was soll’s, ich bin ja unübersehbar, Platz ist auch, er wird schon ausweichen …
Aber nein, statt die Fahrt zu verlangsamen und/oder seinen Kurs um ein paar Grad zu ändern und hinter meinem Heck vorbeizufahren, setzt der Skipper seinen Kurs unbeirrt fort, möglicherweise beschleunigt er sogar. Uhh, das wird knapp … also das berühmte Manöver des letzten Augenblicks: hart anluven, Aufschießer. Puh, nochmal gut gegangen.
Ich gebe zu, ich habe eine Kanonade ziemlich unfeiner Schimpfwörter losgelassen, die ich hier nicht wiederholen werde.
Jetzt, wo der Puls wieder runter und das Adrenalin abgebaut ist, denke ich drüber nach: Was ist da passiert? Dass es Absicht war – also Mordversuch – kann man wohl ausschließen. Dass der Skipper nicht weiß, dass er Seglern ausweichen muss? Unwahrscheinlich. Er hat mich nicht gesehen? Hm, ein weißes Segelboot mit 8 m Mast und 12 m² Segelfläche? Eher nicht. Alkohol? Möglich, aber nicht sicher.
Am wahrscheinlichsten ist Folgendes: Er hat meine Geschwindigkeit unterschätzt. Im Kopf ist irgendwo abgespeichert „Segelboote sind langsam“ und damit, dass eine einfallende Böe einen Segler unvermittelt beschleunigen kann, rechnet er nicht. Ich beobachte das immer wieder: Fast alle Motorbootfahrer scheinen es unter ihrer Würde zu finden, den Hebel etwas zurückzuziehen und sicher hinter dem Heck eines gemächlich vorbeigleitenden Segelboots weiterzufahren. Fast alle geben Gas und versuchen, noch vor dem Bug vorbeizukommen. In der Regel klappt das, aber manchmal – siehe oben – auch nicht.
Wer sich auf dem Wasser bewegt, sollte eine ungefähre Vorstellung haben, wie andere sich dort bewegen (können). Auch wenn ich hart am Wind dem Leeufer immer näher kommend eine Wende mache und der neue Kurs den eines Motorboots kreuzt, dann mache ich das nicht aus Daffke. Wer nur eine ungefähre Ahnung hat, wie Segeln funktioniert, kann eine solche Situation voraussehen und völlig ohne Stress vorausschauend reagieren. Es geht auch nicht darum, unbedingt auf dem Vorfahrtsrecht zu beharren. Natürlich weiche ich einem Motorboot aus, dessen Skipperin offensichtlich gerade einen Steg ansteuert um anzulegen. Oder einem unsicheren Surfer, der Mühe hat, das Gleichgewicht zu halten – obwohl hier natürlich streng genommen die gleichen Regeln gelten wie unter Segelbooten.
Einfach ein bisschen mitdenken … das würde in der Regel schon helfen. Dazu muss man nur eine ungefähre Ahnung davon haben, welche Bewegungsmöglichkeiten der andere hat und wie sich die Situation aus seinem Blickwinkel darstellt. Dann kann man vorausschauend und rücksichtsvoll fahren und alles bleibt entspannt. Das sollte eigentlich nicht nur auf dem Wasser gelten.
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